Begegnung am Ewigkeitssonntag

Ein kleines Dorf in der Niederlausitz. Gerade macht sich die Familie auf zum Kirchgang im Rahmen des Totensonntags, auch Ewigkeitssonntag genannt. Da erscheint eine Frau auf dem Hof, deren Kleidung der heutigen Zeit nicht mehr entspricht. Sie mag aus den 1940er oder 1950er Jahren sein. Ihre Haare sind zu einem Dutt am Hinterkopf zusammengebunden und ihr Gesicht kommt einem merkwürdig vertraut vor. Sie schaut sich auf dem Gehöft um und sagt „hier hat sich aber ganz schön was verändert.“ Sie scheint diesen Hof zu kennen. Die Familie stutzt. Und überlegt. Jeder für sich. Einer sagt „sie sieht aus wie Muttern.“ Das konnte sie aber schlecht sein. Denn „Muttern“ ist seit 3,5 Jahren unter der Erde. „Uns’re Oma sah aber auch so aus.“ Das konnte auch schlecht sein, denn sie ging „Muttern“ schon 1957 voraus. Auf einmal ist die Frau verschwunden. Man konnte gar nicht sehen, dass sie durch das Hoftor, das noch zu war, ging. Ist sie vielleicht nach hinten in den großen Garten gegangen? Wie dem auch sei, die Familie will nun in die Kirche zum Gottesdienst und dann zu den Gräbern ihrer Eltern/Schwiegerelten und Mutter/Schwiegermutter.

Nach dem Gottesdienst geht es zur Grabstätte und da steht sie wieder, die geheimnisvolle Frau, die einem so merkwürdig vertraut vorkam und aussieht wie „Muttern“ und „Oma“. Auch sie schaut zum Grab hin und sagt „ja, da habt ihr ja ein schönes Grab gemacht.“

„Kennen wir uns?“
„Natürlich!“, sagt die Frau, „hier liegen doch die Gebeine meiner Tochter!“
Der gesamten Familie wird es komisch zumute. Wie kann das sein, dass Oma Martha hier ist? Sie ist seit 1957 tot?
Sie lacht „ich weiß, was ihr denkt. Das kann nicht sein. Aber seht, es geht eben doch. Ich habe auch nicht viel Zeit und bin gleich wieder fort. Ich bin hier, um euch etwas mit auf den Weg zu geben. Gerda hat immer die Familie zusammengehalten. Seht zu, dass das alles so bleibt. Es geht uns allen gut, da wo wir jetzt sind. Egal, wie lange wir schon nicht mehr unter den Lebenden sind. So lange ihr euch an uns erinnert, leben wir. So lange ihr von uns sprecht, an uns denkt, sind wir bei euch. Bis wir uns ‚drüben‘ wieder sehen. Ich muss jetzt leider gehen. Meine Zeit ist um. Abe wir sind immer da und sehen und hören euch immer.“

Sie verschwindet hinter der großen Konifere und bleibt weg. Keiner hat sie weggehen sehen.

Doch der Trost und die Hoffnung, dass die Verstorbenen immer bei uns sind, ist der Familie geblieben.

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